William hatte in seiner Mordlust eine Familie zu viel vernichtet. Die Tochter des schottischen Alan von Alness war dem Sohn von Pedros loyalstem Untertan versprochen. Ihr Tod brachte seine Pläne durcheinander. Alan war Pedros Verwalter in Schottland. Nach seinem Tod kamen keine Nachrichten mehr aus dem Norden der Insel.

Pedro war zu Ohren gekommen, dass William nach dem Stein der Weisen für Vampire suchte, einer nicht versiegenden Blutquelle. Da er William nicht finden konnte, versuchte er der Spur seiner Tochter zu folgen, die sich viel in der Welt herumtrieb. Doch deren Spur verlor er immer wieder. Sylvia sah er erst wieder, als er auf der Suche nach dem „Goldenen Buch“ Anna und Paul fand und von Elisabeths Existenz erfuhr. Sylvia war geschickt und entwischte gemeinsam mit Elisabeth seinen Spionen. Erst viele Jahre später, als die beiden den Fehler begingen, sich für einige Zeit in Luzern aufzuhalten, konnte er Elisabeth mit Hilfe der Lügengeschichte über Sylvias Vater für sich gewinnen. Sylvia jedoch war seinen Leuten wieder entschlüpft.

Bald hatte Pedro Gewissheit, dass William einen Weg zu finden schien, Blut selbst herzustellen. Diese Konkurrenz wollte er nicht dulden. Es durchkreuzte seine Pläne. Deshalb war Sylvias Verfolgung auf seiner Prioritätenliste ganz oben.

Die Suche nach dem Goldenen Buch ruhte jedoch nicht. Er wusste, dass Anna und Paul, die sich lange Zeit in Rom unter verschiedenen Namen aufgehalten hatten, dieses Buch von seinem verhassten, verräterischen Bruder bekommen hatten. Es wurmte ihn furchtbar, dass er nach jahrhundertelanger Suche dem Buch noch keinen Schritt näher gekommen war. Es war ihm aber auch bewusst, dass alles getan wurde, dieses Buch vor ihm zu verbergen und das aus gutem Grund. Darin stand geschrieben, wie man seinem unsterblichen Vater getötet hatte und wie man ihn selbst töten könnte.

Das Vampirpaar in Dresden hatte ihm nichts verraten und Elisabeth musste etwas wissen, auch wenn ihr das selbst vielleicht nicht bewusst war.

Pedro hatte einen Narren an Elisabeth gefressen und er hatte Pläne mit ihr. Sie wäre von unschätzbarem Wert, wenn er sie wie eine Tochter behandelte. Dann könnte er sie später als Belohnung für besonders loyale Dienste mit einem seiner Untergebenen verheiraten. Außerdem ist sie exotisch schön.

 

Der Urvampir saß in einem Londoner Taxi, als ihn ein Anruf erreichte. Er hörte nur zu und je länger er zuhörte, desto finsterer wurde seine Miene. Irgendwann legte er, ohne ein Wort gesagt zu haben, auf.

Vor dem Hochhaus des University College Hospital hielt das Taxi. Doch statt auszusteigen zog Pedro sein Handy hervor und wählte eine Nummer. Auf dem Display erschien der Name „Juan“ und als die Verbindung stand, blaffte er ihn an: „Finde sie!“

Er steckte das Handy wieder ein und schien erst jetzt zu bemerken, dass er immer noch in dem Taxi saß. Er zog ein paar Scheine aus seinem Jackett, warf sie dem Fahrer auf den Beifahrersitz, schnappte sich seinen Koffer und stieg aus. Der Taxifahrer rührte sich erst wieder, als dieser unheimliche Mann in dem Gebäude verschwunden war. Selbst wenn das Geld nicht gereicht hätte, wäre ihm im Traum nicht eingefallen zu protestieren. Er startete das Taxi und fuhr hektisch davon.

Pedro hatte noch einen weiten Weg und Zeit genug, um seinen kochenden Ärger etwas abzukühlen.

Sie hätten sie nicht gesehen, haben sie gesagt. Sie dachten, sie wäre auf ihrem Zimmer, weil sie Geräusche hörten. Sie nahmen an, sie wäre traurig und ließ sich deshalb nicht sehen. Nur irgendwie musste sie ja das Haus verlassen haben. Irgendjemand hatte gepennt, gewaltig gepennt! Dieser Jemand würde dafür büßen. Diesem Jemand würde niemand mehr helfen können!

Und Elisabeth? Die hatte ihn schwer enttäuscht. Auch sie würde leiden müssen, so sehr, dass sie ihn nie wieder enttäuschen würde. Nur mussten sie sie erst einmal wieder einfangen. Pedro wusste, dass Juan alle Hebel in Bewegung setzte. Elisabeth würde nirgendwo mehr sicher sein. Im selben Augenblick wurde ihm bewusst, dass er auch Sylvia noch immer nicht gefunden hatte.

Das Fahrstuhldisplay zeigte weiterhin -2 an, obwohl sich Pedro bereits unterhalb des zweiten Tiefgaragendecks befand. Außer ihm und ein paar Getreuen besaß niemand den Code, den man eingeben musste, um in das geheime unterirdische Labor zu gelangen. Es wäre auch niemand auf die Idee gekommen, denn niemand ahnte, dass der Fahrstuhl noch weiter nach unten fahren konnte. Als sich die Fahrstuhltür öffnete, sah Pedro in den langen Gang, an dessen Ende sich eine Stahltür befand. Diese Stahltür hatte nirgendwo eine Klinke, ein Rad oder etwas Ähnliches, woran man sie hätte aufziehen können. Neben der Tür gab es einen kleinen Kasten an der Wand, gesichert mit einem Zahlencode.

Pedro sah zwar immer noch wütend aus, aber seine Finger glitten ruhig über die Tastatur, um den Zahlencode einzugeben. Doch nicht die Tür öffnete sich, sondern die Platte mit dem Zahlencode fuhr beiseite. Zu sehen war eine kleine Nadel. Pedro legte einen Finger darauf und ließ zu, dass ein winziger Blutstropfen daran hinunter in eine kleine Rinne floss und verschwand. Er zog die Hand zurück und die Platte verbarg die Nadel wieder. Kurz darauf hörte er ein Klicken und ein geheimer Mechanismus ließ die Stahltür beiseite gleiten. Pedro ging hindurch. Eine Lichtschranke im Türrahmen veranlasste, dass die Tür sogleich wieder in die Ausgangsposition zurückglitt.

Nun stand Pedro in einem Raum, dessen Wände komplett aus verspiegeltem Panzerglas bestanden. Hinter diesen Wänden, wusste er, waren Wachposten, die jeden beobachteten, der dieses verwirrende Spiegelkabinett betrat. Durch das Blut konnte derjenige, der Einlass begehrte, bereits identifiziert werden. Doch auch Blut konnte gestohlen sein. Für Pedro öffnete sich jedoch ziemlich schnell die Eingangstür zum Labor. Man ging davon aus, dass niemand es wagen, geschweige denn schaffen würde, auch nur einen Tropfen von Pedros Blut zu stehlen. Der Vampir betrat einen halbrunden Raum durch dessen Glaswand man einige Weißkittel sehen konnte, die eine Vielzahl an Geräten bedienten und beobachteten.

Pedros Miene taute etwas auf, als er den stattlichen Vorrat an Konservendosen sah. Offenbar lief hier alles nach Plan. Auf seinen Befehl hin wurden durch eine gläserne Schleuse ein paar Dosen über ein kleines Förderband in den vorderen Raum transportiert. Pedro entnahm sie und besprach sich mit einem der bis an die Zähne bewaffneten Männer. Sie bewachten den kleinen Eingangsraum und die Weißkittel in dem Labor. 

Kurze Zeit später fuhr Pedro mit dem Fahrstuhl wieder aufwärts, jetzt ganz nach oben. Im obersten Geschoss des Gebäudes befand sich ein Konferenzraum, an dem bereits 16 in feinstem Zwirn gekleidete Vampire und fünf ebenfalls gut betuchte Vampirfrauen auf ihn warteten, die Elite seiner loyalsten Untergebenen. Der Rat der nun noch 21 von ehemals 25 Ältesten aus allen Teilen der Welt erhob sich, als Pedro den Raum betrat. Jeder von ihnen würde berichten, was in dem von ihm verwalteten Gebiet vor sich ging und wie seine Befehle ausgeführt wurden.

 

Aber niemand konnte ihm über Sylvia und das Goldene Buch berichten.